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BGH: Keine „taggenaue Berechnung“ des Schmerzensgeldes

von Frank Baranowski
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BGH: Keine "taggenaue Berechnung" des Schmerzensgeldes

Zu der Frage, wie die Höhe des Schmerzengeld nach einem Verkehrsunfall zu berechnen ist

(lnp) Der Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall erheblich verletzt. Über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren verbrachte er im Rahmen von 13 stationären Aufenthalten insgesamt 500 Tage im Krankenhaus, u. a. musste der rechte Unterschenkel amputiert werden. Der Kläger ist seither zu mindestens 60 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Die Einstandspflicht der Beklagten (Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Pkw) steht dem Grunde nach außer Streit.

Höhe des Schmerzensgeldes im Streit

Das Landgericht sprach dem Kläger, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, ein Schmerzensgeld von 100.000,00 EUR zu. Auf die Berufung des Klägers verurteilte das Oberlandesgericht die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt 200.000,00 EUR. Das OLG wendete dabei die Methode der sog. „taggenauen Berechnung“ des Schmerzensgeldes an. Danach wird unabhängig von der konkreten Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen auf die bloße Addition von Tagessätzen, die nach der Behandlungsphase (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebensbeeinträchtigung gestaffelt sind, abgestellt.

Das OLG setzte diese Tagessätze – ausgehend von bestimmten Prozentsätzen eines durchschnittlichen Einkommens – für die verschiedenen Behandlungsstufen auf 150 € (Intensivstation), 100 € (Normalstation), 60 € (stationäre Reha) und 40 € bei 100 % Grad der Schädigungsfolgen an. In einem zweiten Rechenschritt (Stufe II) können von der zuvor „taggenau“ errechneten Summe je nach Gestaltung und Schwere des Falles individuelle Zu- und Abschläge vorgenommen werden. Das Berufungsgericht nahm auf dieser Stufe wegen der erheblichen Vorerkrankungen des Klägers einen Abschlag vor. Von der nach der oben aufgeführten Methode grundsätzlich vorgesehenen abschließenden Erhöhung des Schmerzensgeldes bei Dauerschäden und besonders schwerwiegenden Verfehlungen des Schädigers (Stufe III) machte das Berufungsgericht im Streitfall keinen Gebrauch.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Der BGH hob die Entscheidung des BGH auf

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hob die Entscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Der BGH begründete dies u. a. wie folgt:

Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt.

Der „taggenauen Berechnung“ des Schmerzensgeldes eine Absage erteilt

Diesen Grundsätzen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene „taggenaue Berechnung“ des Schmerzensgeldes nicht gerecht. Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, lässt wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So bleibt unbeachtet, welche Verletzungen der Kläger erlitten hat, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst wurde.

Es fehlt die individuelle Betrachtung des Einzelfalls

Gleiches gilt für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Auch die Anknüpfung an die statistische Größe des durchschnittlichen Einkommens trägt der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten nicht hinreichend Rechnung. Das Berufungsgericht wird daher erneut über die Höhe des Schmerzensgeldes zu befinden haben.

Entscheidung des BGH  vom 15.02.2022, VI ZR 937/20.

Quelle: Bundesgerichtshof, 15. Februar 2022

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