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Vom Fiskalpakt zur Fiskalunion

von Frank Baranowski
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(LNP) Im Folgenden ein Positionspapier von Nils Schmid, Vorsitzender der SPD Baden- Württemberg und Minister für Finanzen und Wirtschaft BW, und Peter Friedrich, Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten BW.

Deutschland steht in der Europapolitik vor einer entscheidenden Weichenstellung: entweder die Fortsetzung der zaudernden Eurorettung à la Merkel oder der entschlossene Schritt hin zur Fiskalunion.

Die bisherige deutsche Bundesregierung hat die Verantwortung Deutschlands für den gemeinsamen europäischen Wirtschafts- und Währungsraum in der Staatsschulden- und Eurokrise in den letzten anderthalb Jahren nur zögernd wahrgenommen. Dadurch hat sie die Eurostabilisierung verschleppt und erschwert. Die SPD hingegen hat frühzeitig auf die Notwendigkeit weiterer fiskalpolitischer Koordinierung hingewiesen (u. a. durch die Einführung von Eurobonds) und sich für die Verstärkung der europäischen Integration als Antwort auf diese Krise eingesetzt. Dies entspricht dem nationalen Interesse Deutschlands, das wie kein anderes Land in Europa wirtschaftlich und politisch auf ein geeintes Europa angewiesen ist. Dabei war nach unserem Verständnis immer klar, dass Solidarität bei der Eurostabilisierung und bei der dazu erforderlichen Wachstumspolitik einerseits und stringentere Regeln zur Staatsverschuldung im Euroraum und eine stärkere fiskalpolitische Koordinierung durch Brüssel andererseits unzertrennbar zusammengehören. Mit dem permanenten Europäischen Stabilitätsmechmanismus‘ und dem Fiskalpakt ist eine solche – wenn auch unvollkommene – europäische Fiskalunion im Entstehen begriffen.
Durch den Fiskalpakt wird die Schuldenbremse europaweiten Verfassungsrang erhalten. Mit ihrer Umsetzung berauben sich die Staaten Europas einem wirtschaftspolitischen Instrument, der schuldenfinanzierten Wachstumspolitik. Damit entledigen sie sich eines Teils ihrer ökonomischen Handlungsfähigkeit, die sie zur Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise sehr bewusst eingesetzt haben. Vor dem Hintergrund der Staatsschuldenkrise und der Überstrapazierung der Schuldentragfähigkeit europäischer Staaten eine verständliche Reaktion. Eingedenk der Tatsache, dass Staatsschulden über den Zinsdienst der Staaten an ihre Gläubiger die größte Form der staatlich organisierten Umverteilung von unten nach oben darstellen, eine aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit unverzichtbare Konsequenz.
 
Das harte Einbremsen der Staatshaushalte in den EU- Mitgliedstaaten wird jedoch zwangsläufig zu einem Konjunktureinbruch führen. Die EU insgesamt befindet sich schon inmitten dieser konsolidierungsbedingten Wirtschaftskrise, was zu Recht zu Rufen nach Wachstumsideen und –programmen führt. Diese dürfen aber, im Gegensatz zur Bankenrettung und zu den Konjunkturprogrammen der Jahre 2008 und 2009, wiederum nicht schuldenfinanziert sein. Schließlich würde dies der gerade stattfindenden konstitutionellen Absicherung der Konsolidierung gleich zu Beginn widersprechen. So sucht die Politik in Deutschland und Europa nach neuen Wachtumsquellen und einer Finanzierung dafür.
 
Die These, dass Haushaltskonsolidierung ohne Wachstum nicht gelingen kann, ist offensichtlich richtig, wie uns der Rückgang der Schuldentragfähigkeit einiger Krisenländer trotz deren enormer Budgetkürzungen zeigt. Öffentliche Haushalte können nur dann saniert werden, wenn nicht nur die Ausgaben gekürzt, sondern auch die Einnahmen erhöht werden. Dies wiederum setzt Wirtschaftswachstum und eine gesicherte Basis von Steuereinnahmen, im Einzelfall auch mit Hilfe von Steuererhöhungen voraus. So hat es Bill Clinton in den 1990er Jahren geschafft, das US- Budgetdefizit niederzukämpfen; so verfahren die EU- Mitgliedsstaaten auch jetzt im Ringen mit der Verschuldungskrise wie zuvor auch bei der Bewältigung der weltweiten Finanzkrise 2009.Daraus ergibt sich ein schwieriges, weil dauerhaftes Dilemma: Während die Schuldenbegrenzung Verfassungsrang erhält, sind die bisher diskutierten Wachstumsideen allesamt Ad- Hoc- Instrumente, denen kein dauerhafter konstitutionellen Rang im Rahmen der Wirtschafts- und Finanzverfassung der EU zukommt. Zur Erinnerung: Deutschland hat mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz bereits 1967 den Zielen eines angemessenen und stetigen Wirtschaftswachstums, eines außenwirtschaftlichem Gleichgewichts, eines stabilen Preisniveaus und eines hohen Beschäftigungsstandes den gleichen gesetzlichen Rang eingeräumt. Kein Ziel war den anderen Zielen übergeordnet, alle vier Vorgaben dieses „Magischen Vierecks“ sind gleichgewichtig zu verfolgen. Seine Begründung findet diese Gleichwertigkeit der wirtschaftspolitischen Ziele in den Vorgaben unserer sozialen, demokratischen und marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung, zu denen unter anderem Gerechtigkeit, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit gehören, die in Balance zu halten sind. Muss dies nicht auch für die EU gelten?
 
Mit den derzeit diskutierten Vorhaben wird diese Gleichwertigkeit jedoch ausgehebelt, denn was in der aktuellen Debatte um Konsolidierung der europäischen Staatshaushalte fehlt, ist ein konstitutionelles Wachstumsinstrument für die Einnahmeseite der Staatshaushalte Die Gefahr ist zudem, dass sich das bereits existierende Ungleichgewicht zwischen den „harten“, wirtschaftspolitischen Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes und den „weichen“ sozialpolitischen Vorgaben weiter verstärkt. Bereits bislang haben die marktschaffenden Politiken Verfassungsrang, während den marktkorrigierenden Politiken allenfalls appellativer Charakter zukommt.
 
Nun soll diese Asymmetrie noch dadurch verschärft werden, dass neben den wettbewerblichen auch den konsolidierenden Politiken Verfassungsrang zusteht, während den investiven wie auch schon den marktkorrigierenden Politiken bestenfalls der Wert von Empfehlungen zuteilwird. Zumindest das Dilemma zwischen haushaltskonsolidierenden und investiven Ansätzen lässt sich durch die Verwirklichung einer echten Fiskalunion auflösen, bei der neben den Fiskalpakt zu Begrenzung der Staatsverschuldung ein europäisches Bündnis zur Stärkung der Staatseinnahmen tritt.
 
Dazu ist die Finanztransaktionssteuer ein wichtiges, aber letztlich nicht zentrales Instrument. Die Abschöpfung von Arbitragegewinnen und die Eindämmung der Spekulation ist die eigentliche und zugleich ausreichende Begründung für diese Steuer. Schließlich gilt es ja auch den Strukturen Herr zu werden, die die Finanzmarktkrise verursacht haben.
 
Für eine Einnahmesicherung mit Verfassungsrang als Gegenstück zur Konsolidierung wäre jedoch eine Verpflichtung aller europäischen Staaten auf eine gleichartige Besteuerung der Wirtschaft und eine verpflichtende Mindestbesteuerung für Vermögen der richtige Weg.
 
Ersteres kann über die Schaffung einer EU- einheitlichen konsolidierten Körperschaftsbemessungsgrundlage gelingen, wozu ja bereits legislative Vorschläge vorliegen. Dass dies beim letzten deutsch- französischen Regierungsgipfel noch vor der Wahl Hollandes als gemeinsames Vorhaben vereinbart wurde, bleibt richtig. Es sollte nun von Deutschland und Frankreich genauso energisch innerhalb der EU vorangetrieben werden wie der Fiskalpakt. Eine einheitliche Besteuerung für Unternehmen in der EU ist notwendig, weil die Wirtschaft längst die gesamte EU als ihren Heimatmarkt begreift. Und eine solche Harmonisierung würde den bürokratischen Aufwand für die Unternehmen verringern sowie deren steuerliche Gleichbehandlung garantieren.
 
Noch wichtiger ist die Mindestbesteuerung von Vermögen in allen EU- Ländern. Denn die simple Wahrheit, über die selten gesprochen wird: Die Schulden der einen sind die Vermögen der anderen. Was bei den Staaten als Verpflichtung auf den Büchern steht, findet sich bei den Anlegern als Anlagevermögen in Form von Staatsanleihen auf der Habenseite. Wer also ernsthaft Staatsschulden reduzieren will, wird um einen durch die EU- Staaten organisierten Ausgleich zwischen öffentlichen Schulden und privaten Vermögen nicht herum kommen. Drastischer ausgedrückt: Weniger Staatsschulden heißt auch weniger von dieser Art von Privatvermögen.
 
Dafür gibt es gute Gründe: Diejenigen, die seit vielen Jahre mit faktisch keinem Risiko gutes Geld durch die Zinszahlungen der Staaten erhalten haben und weiterhin auch werden, müssen auch ihren Solidarbeitrag leisten. Die Vorstellung, mit dem bisherigen Verteilungsmix bei den Steuereinnahmen – der ja überwiegend aus Lohn- , Einkommens- und Verbrauchssteuern sowie mit Abgaben auf Arbeitseinkommen für die Sozialversicherungen besteht – sowohl die laufende Staatstätigkeit als auch den Schuldenabbau finanzieren zu können, überschätzt die Belastbarkeit von Arbeitnehmern, Rentnern und vor allem auch der Realwirtschaft. Durch die Staatsverschuldung in Europa sind viele in den Genuss staatlicher Leistungen gekommen. Eine der größten Gruppen von Nutznießern bleibt mit wenigen Ausnahmen außen vor: die Staatsgläubiger. Auch diese müssen ihren gerechten Anteil bezahlen.
 
Wie jeder Tisch braucht die europäische Fiskalunion mindestens vier Beine, um stabil stehen zu können. Der Fiskalpakt, der in der Umsetzung steht, beschreibt das erste Die gemeinsame Eurostabilisierung – zurzeit über den ESM, im nächsten Schritt über Eurobonds zur Altschuldentilgung – ist deren zweites Bein. Die dritte Säule besteht aus einer einheitlichen Mindestbesteuerung von Wirtschaft und Vermögen in der EU, doch gibt es hier bislang keine ausreichende Initiative. Eine einheitliche europäische Bankenregulierung ist das vierte Standbein, dessen Umsetzung schon viel zu lange auf sich warten lässt. Wichtig ist, dass allen vier Säulen die gleiche rechtliche Verbindlichkeit zukommen muss, also sowohl Gemeinschaftsrecht als auch faktischer Verfassungsrang in den Mitgliedsstaaten. Alle Säulen müssen auch mit der gleichen Möglichkeit der Sanktionierung bei Nichteinhaltung versehen werden.
 
Eine europäische Wirtschafts- und Finanzverfassung, die nur Konsolidierung und Eurostabilisierung kennt, aber keine gemeinsame Finanzmarktregulierung und Steuerharmonisierung, wird Europa weder Perspektive noch Wohlstand bringen. Und damit geraten letztlich auch die Ziele der Gerechtigkeit, der Freiheit und der Sicherheit aus der Balance.
 
Quelle: spd-bw.de
Bild-Quelle: spd-bw.de

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